Eine Einschätzung von mir als Maler.
Natürlich bin ich kein Kunsthistoriker oder Theoretiker oder gar Kritiker, ich bin ein Maler, ein Künstler, und ich möchte der Kunst mit meinem Leben dienen. Ich lebe mit Farben und Formen. Ich lebe mit unbemalten Bildern, mit Bildern, die sich offenbaren wollen, die für das menschliche Auge sichtbar werden wollen. Meine Staffelei ist der Ort dieser Geburt. Aus dem noch nicht Sichtbaren werden die Bilder ins Sichtbare geboren. Ich bin dabei, wie eine Hebamme, die diese Geburt begleitet. Aber meine Tätigkeit geht über die einer Hebamme hinaus, ich bin auch ein Vollstrecker, ein Schöpfer.
Wie ein Schläfer, der in der Morgenstunde durch einen Sonnenstrahl erwacht, der durch das Schlafzimmerfenster in sein Auge fällt, aber aus einem Traum erwacht, der ihn in einen kalten Winter, in eine Hütte am offenen Feuer führte. In das Feuer starrend, sich selbst vergessend, entfaltet sich vor seinem inneren Auge der letzte Tag in Eis und Schnee. Dann wacht er auf, weil das Feuer so heiß geworden zu sein scheint, dass es ihm das Gesicht zu verbrennen droht. Der ganze Traum ist auf das Aufwachen ausgerichtet. Der Sonnenstrahl, der der erste Auslöser war, kommt im Traum zum Ende, in Form des Feuers, das zu heiß wird. Der ganze Traum geht in der Zeit rückwärts, hat aber eine innere Chronologie, die zum notwendigen Ende führt. Der Traum ist ein Bote einer Welt, in der unsere Gesetze von Raum und Zeit nicht mehr gültig sind.
So ist es mit einem Bild, das entsteht, das entstandene Bild kündigt einen Prozess an, der in unserer Welt vorausgehen musste, notwendigerweise chronologisch eine Schicht nach der anderen, eine Farbe nach der anderen, eine Form nach der anderen. Zu Beginn dieses Prozesses ist das Bild zwar noch ungemalt, aber doch schon da. In dieser Welt, in der unsere Gesetze von Zeit und Raum nicht funktionieren. Die Ursache meines Handelns liegt in der Zukunft, nämlich im irgendwann fertigen Bild, das aber seinen Ursprung in seinem geistigen Urbild findet. Die Staffelei ist die Schwelle zwischen diesen beiden Welten, zwischen dieser Welt und der anderen.
Umgekehrt wird das Bild zu einem Fenster, durch das wir zum geistigen Urbild aufschauen können. Von dort aus gelangt unsere Welt in die Welt der Götter und Geister. Bereits zur Zeit der Mumifizierung der Pharaonen im alten Ägypten entstand der Brauch, anstelle des von Bandagen befreiten Gesichts ein Maskengesicht zu malen, als Fenster zwischen dem Reich der Lebenden und dem der Toten. Die ältesten erhaltenen Ikonen stammen aus dem fünften und sechsten Jahrhundert. Während des Siebten Ökumenischen Konzils sprachen die Kirchenväter über Ikonen und sagten, dass die Gläubigen bei der Betrachtung der Ikonen ihren Geist von den Bildern zu den ursprünglichen Bildern erheben sollten.
Diese Kontemplation ist kein intellektueller Prozess, kein Denkprozess, sondern eine direkte Wahrnehmung mit dem Herzen. Das Erleben des Geistes mit dem Herzen. Und das ist ein hochaktuelles Thema in der Kunst. Die zeitgenössische Kunst ist geprägt von einem Intellektualismus, der alles Geistige verschlingt. Eine Kunst der Leere wird als wahre Kunst proklamiert. Nur wenn das Denken durchdrungen werden muss, um zu verstehen, was unser Auge in Materialsammlungen sieht, ist ein Werk „anspruchsvoll“, „documenta-würdig“. Was gibt eine solche Kunst unserer Gesellschaft?
Sie regt an zum Denken, zum Nachdenken, zum Bilden von tausend Meinungen: zum Trennen. Sie unterstützt die Entwicklung zu noch mehr Individualisierung, letztlich zur Trennung voneinander und von dem Geistigen in uns und um uns herum. Man könnte von den Anti-Ikonen der zeitgenössischen Kunst sprechen.
Wenn Menschen sich berühren, öffnen sie sich und verbinden sich. Wenn ein Gemälde den Betrachter im Herzen berührt, kann sich der Betrachter öffnen, sich mit dem ursprünglichen Bild verbinden. Nicht nur in diesem Sinne male ich zeitgenössische Ikonen.
Ikonen sind seit jeher Fenster in die geistige Welt, gestaltet nach dem Bewusstsein der Menschen. In dem Maße, wie ein direkter, lebendiger Bezug zur Welt des Geistes verloren ging, erstarrte die Kunst der Ikonenmalerei in einem Korsett von Regeln und menschengemachten Vorstellungen, wie eine Ikone zu sein und mit welchen Mitteln sie zu malen habe. Abgesehen von kleinsten, vom jeweiligen Zeitgeist beeinflussten Entwicklungen, gab es kaum neue Impulse in der Ikonenmalerei.
Die zeitgenössische Ikonographie soll auch Ausdruck des Strebens nach Autonomie gegenüber dem in der Kirche verankerten Traditionsgefüge sein.
Ikonenmalerei ist Offenbarungsmalerei, sie offenbart den Geist im Bild. Wenn es stimmt, dass der Mensch sich entwickelt, sein Bewusstsein sich entwickelt, und meiner Meinung nach ist auch die Welt des Geistes in ständiger Entwicklung, dann ist die Ikonenmalerei heute eine im wahrsten Sinne des Wortes apokalyptische Malerei. Ihre Aufgabe ist es, diesen Fortschritt der Welt des Geistes und des Menschen in Bildern für die schauenden Herzen der Menschen zugänglich zu machen.
Und genau hier stehe ich als Ikonenmaler.
Für meine Bilder verwende ich erstklassige Materialien, was eine allererste Grundvoraussetzung dafür ist, dass die Bilder zum Träger geistiger Archetypen werden.
Als Bildträger verwende ich hochwertige handgewebte Leinwand aus Belgien, auf die ich eine Grundierung aus Leimwasser und Marmor- oder Gipspulver auftrage, die vor dem Malen oder Vergolden mehrmals aufgetragen wird. Sowohl vor dem ersten Anstrich oder Abdruck als auch zwischen den einzelnen Farbschichten wird nach dem Trocknen jedes Mal geschliffen, so dass eine dichte Oberfläche entsteht.
So wie in der frühen ukrainischen Ikonenmalerei oft bestimmte Motive in die Holztafel geritzt wurden, ritze ich Motive, die sich auf das Bild beziehen, in den Grund aus Mormormehl und leime sie mit Kassein und Öl.
Bereits Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Ikonenmalerei in der ukrainischen Stadt Lvov mit einer Mischung aus Ölfarbe und Eitempera ausgeführt. Ich kann also sowohl Ölfarbe als auch Eitempera für meine Ikonen verwenden.
Für meine Firnisschichten koche ich meinen eigenen Bernsteinfirnis aus Bernstein, den ich auch verwende, um zwischen den Farbschichten Licht in meine Bilder zu weben.
Ich arbeite mit starken, ausdrucksstarken und eindeutigen Formen, verzichte auf die Regeln des malerischen Realismus und entferne so die Egozentrik des Künstlers und des Betrachters.
Jedes Bild wird zu einem Gesicht, wird zu einer Grenze zwischen Himmel und Erde, wird zu einer Spiegelfläche für die Urphänomene unserer Welt, im Sinne von Goethes Urpflanze, bildet ein Bindeglied, das die Diskontinuität zwischen der Welt der Träume und der Welt, die wir am Tag erleben, überbrückt. Das Bild soll einen „Präsenz“-Charakter haben, es soll zu innerer Aktivität auffordern, den Raum mit seiner Präsenz beleuchten und erhellen.
Im Sinne von Klee kann ich abschließend sagen:
Die Genesis als permanenter Prozess der immerwährenden Schöpfung wird zur Offenbarung des Geistes, mit dem Künstler als Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits.